Pressemitteilung: Berufungsprozess gegen Antifaschisten am Landgericht Koblenz

Ende Februar beginnt am Landgericht Koblenz der Berufungsprozess gegen sechs Antifaschist_innen, die wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch angeklagt sind. Vorgeworfen wird ihnen, im Zuge der Proteste gegen den jährlich statt findenden Naziaufmarsch in Remagen, als Teil einer Gruppe Landfriedensbruch begangen zu haben. Im März 2012 wurden diese in einem Prozess ohne konkrete Beweise zu 70 Tagessätzen in unterschiedlicher Höhe verurteilt. Einzig ihre Anwesenheit auf einer Demonstration wurde als Beweis für ihre Schuld genutzt. Die Anklage wegen Körperverletzung wurde fallen gelassen

Der Prozess stellte sich in erster Instanz als ein klarer Versuch von Kriminalisierung antifaschistischen Engagements dar. Der Vorwurf des „Landfriedensbruch“ diente letztendlich der absurden Konstruktion einer passiven Tatbeteiligung der Beschuldigten. Einzig die vermutete Anwesenheit reichte für eine Verurteilung aus. Allerdings basiert die Beweiskraft über die Anwesenheit ebenfalls auf sich widersprechenden Aussagen von Polizeibeamt_innen. Die Beweisaufnahme zeigte ein fragwürdiges Vorgehen der Polizei bei der Identifikation der Beschuldigten auf. Unterschiedliche Aussagen, wage Vermutungen und lückenhafte Erinnerungen waren die Grundlage, auf der die Staatsanwaltschaft ihre Anklage stützte und der sich das Gericht anschloss. Es zeigen sich Ähnlichkeiten zum Fall Tim H. in Dresden, der bundesweite Aufmerksamkeit erlangte. Auf einer ebenso dünnen Beweiskraft wird die bloße Anwesenheit von Antifaschist_innen genutzt, um diese stellvertretend zu verurteilen: Abschreckung ist hier das Ziel.

„Wir sehen hier einige Parallelen zum Versuch der sächsischen Justiz im Fall Tim H., legitimen Protest gegen den jährlichen Naziaufmarsch in Dresden zu kriminalisieren“, so Tim Sonnenschein von der Remagen Solidaritätsgruppe. „Dort gab es auch eine Verurteilung eines Gegendemonstranten ohne Beweise oder eine konkrete Zuordnung einer Tatbeteiligung. In Dresden wie in Remagen marschieren jährlich Neonazis auf. Antifaschistischer Protest ist hier notwendig. Genau dieser soll verhindert werden“

„Wir rufen nicht nur alle Antifaschist_innen, sondern auch die Presse dazu auf, die Berufungsverhandlung kritisch zu begleiten, um einer erneuten skandalösen Verurteilung entgegenzuwirken,“ fordert Sonnenschein.


Hintergründe: Die Situation in Remagen

Seit 2009 marschieren jährlich mehrere hundert Neonazis durch Remagen, um an die sogenannten »Rheinwiesenlager« zu erinnern. Die Nazis versuchen, die in diesen alliierten Kriegsgefangenenlagern Gestorbenen als zu Unrecht Ermordete darzustellen und damit “den Deutschen” den ersehnten Opferstatus zuzusprechen. Gleichzeitig soll die Grausamkeit der Alliierten dargestellt werden, um die Schuld “der Deutschen” zu relativieren. Dieser Naziaufmarsch stellt inzwischen den größten regelmäßig stattfindenden in Rheinland-Pfalz dar. Auch 2010 versammelten sich 300 Neonazis für diese geschichtsrevisionistische Veranstaltung. Dem Aufruf von antifaschistischen Gruppen und dem „Bündnis Remagen für Frieden und Demokratie“ zu einer Mahnwache und Gegenprotesten folgten etwa 200 Menschen. Zu Beginn der Mahnwache versuchten einige Gegendemonstrant_innen auf die Route der Nazis zu kommen, was jedoch aufgrund der starken Polizeipräsenz nicht gelang. Die Gegendemonstrant_innen zogen sich daher zurück, wobei es zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei kam, bei der einige Antifaschist_innen durch Schlagstockeinsatz und Tränengas, sowie ein Polizist leicht am Kopf verletzt wurden. Insgesamt gab es in Folge des Vorfalls 15 Festnahmen von Antifaschist_innen.
Der Hauptangeklagte, der den Polizisten verletzt haben soll, wurde bereits in einem Berufungsverfahren im Oktober 2011, ohne Beweise und konkrete Identifikation, zu 1 ½ Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Ein Zeuge der Verteidigung, der im ersten Prozess gegen den Hauptangeklagten im Gerichtssaal wegen angeblicher Falschaussage verhaftet worden war, wurde inzwischen ebenfalls verurteilt. Seine Aussage war nahezu identisch mit der Aussage, einer als Zeugin geladenen Polizistin. Gegen weitere 6 der 15 festgenommen Antifaschist_innen wurde Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch erhoben. Im März 2012 wurden diese ohne Beweise und Zeug_innen, die eine Tatbeteiligung bestätigen können, zu 70
Tagessätzen in unterschiedlicher Höhe verurteilt. Einzig ihre Anwesenheit auf einer Demonstration genügte hier zu einer Verurteilung. Im Februar 2012 beginnt nun der Berufungsprozess vor dem Landgericht Koblenz.

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